BERLIN (dpa/tel). Die Bundestagswahl vom Sonntag ist für Deutschland eine Zäsur: Die Wähler haben die politische Landschaft ordentlich durchgeschüttelt. Die Parteien der Großen Koalition von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mussten deutliche Verluste hinnehmen; sowohl die Union als auch die SPD mit Kanzlerkandidat Martin Schulz erzielten historisch schlechte Ergebnisse. Gleichzeitig gelang der rechtspopulistischen AfD erstmals der Einzug in den Bundestag. Sie wurde gleich drittstärkste Kraft im Parlament vor der FDP. Die Wahlbeteiligung war deutlich höher als vor vier Jahren.
Nach den letzten Hochrechnungen vom späten Abend kamen CDU und CSU zusammen auf etwa 33 Prozent der Stimmen – sie fuhren damit Verluste von mehr als acht Prozentpunkten gegenüber 2013 ein (41,5 Prozent). Die SPD landete bei etwa 20,6 Prozent (2013: 25,7), die AfD erreichte knapp 13 Prozent (2013: 4,7). Die FDP konnte nach vier Jahren wieder in den Bundestag einziehen. Sie erhielt etwa 10,6 Prozent der Stimmen (2013: 4,8) und landete damit knapp vor Grünen und Linken, die jeweils um die 9 Prozent erzielten. Im künftigen Parlament werden demnach sechs Fraktionen vertreten sein.
Das Wahlergebnis wird die Bildung einer neuen Regierung erschweren. Einer Wiederauflage der Koalition mit der Union erteilte die SPD-Spitze unmittelbar nach Schließung der Wahllokale eine Absage. Parteichef Schulz sagte: „Es ist völlig klar, dass der Wählerauftrag an uns der der Opposition ist.“
Rechnerisch möglich ist nun noch ein sogenanntes Jamaika-Bündnis aus CDU/CSU, FDP und Grünen. Sowohl die Liberalen als auch die Grünen zeigten sich hierzu gesprächsbereit, verwiesen aber auch auf Hürden. „Wir werden kein einfacher Partner sein“, sagte Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. FDP-Chef Christian Lindner sagte, er sehe hier und da Distanz zur Union und zu den Grünen. „Deshalb empfehle ich, den Ball flach zu halten.“
Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Merkel kündigte Gespräche zur Regierungsbildung an, ohne Partner zu nennen. „Wir haben einen Auftrag, Verantwortung zu übernehmen“, sagte sie. Zugleich räumte sie ein, sich ein besseres Ergebnis erhofft zu haben – betonte aber auch, dass die Union ihre strategischen Ziele erreicht habe: Die Union sei stärkste Kraft geworden, und gegen sie könne keine Regierung gebildet werden. Bei Bundestagswahlen hat die Union allerdings allein 1949 schlechter abgeschnitten.
Die SPD fiel sogar auf ihr schlechtestes Bundestagswahlergebnis überhaupt zurück. Schulz sprach von einem „schweren und bitteren Tag“ für die Sozialdemokratie. Er kündigte an, SPD-Chef bleiben zu wollen. Den Fraktionsvorsitz werde er aber nicht übernehmen; als aussichtsreichste Kandidatin für den Posten gilt nun die bisherige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles.
Den Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD) nannte Schulz „bedrückend“: „Das ist eine Zäsur, und kein Demokrat kann darüber einfach hinweggehen.“ Mit der AfD hat erstmals seit den fünfziger Jahren eine rechtsnationale Partei den Sprung ins Parlament geschafft. In Ostdeutschland wurde sie mit etwa 22 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft hinter der CDU. AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland sagte der künftigen Bundesregierung den Kampf an: „Sie kann sich warm anziehen. Wir werden sie jagen“, sagte er. „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“
Merkel sagte, die Union wolle die Wähler der AfD zurückgewinnen „durch Lösung von Problemen, durch Aufnehmen ihrer Sorgen“. Schulz betonte, zentrale Aufgabe der SPD bleibe es, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu organisieren. CSU-Chef Horst Seehofer sagte, man müsse die „offene Flanke auf der rechten Seite“ schließen, „am besten durch eine Politik, die gewährleistet, dass Deutschland Deutschland bleibt“. Die CSU hat Hochrechnungen zufolge in Bayern mit 38,7 Prozent ihr schlechtestes Bundestagswahlergebnis überhaupt erzielt.