Helge Braun
Rede von Helge Braun zum Wechsel der Präsidentschaft im Bundesrat
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst dem Dank des amtierenden Präsidenten anschließen und mich ganz herzlich bei Reiner Haseloff für seine Bundesratspräsidentschaft bedanken. Wir haben unter seiner Führung einen wirklich beeindruckenden Tag der Deutschen Einheit erlebt, der uns lange in Erinnerung bleiben wird, und wir haben in diesem Jahr in der Coronakrise unter wahrlich schwierigen Bedingungen gearbeitet. Wir haben mehrfach Sondersitzungen gebraucht, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen, und es war nie eine Frage, dass es kurzfristig möglich ist, Entscheidungen des Bundesrates herbeizuführen. Auch dafür will ich mich herzlich bedanken.
Weil wir so viel Krise hatten, hat sich ein Thema in diesem Jahr wiederholt, das immer wieder das große Thema des Ständigen Beirats dieses Hauses ist, nämlich dass sowohl die Bundesregierung als auch der Bundestag um Fristverkürzung bitten und damit die Beratungsläufe in diesem Hohen Haus schwierig und anstrengend machen. Das ist der Sache geschuldet. Deshalb möchte ich mich herzlich bedanken, dass das immer wieder möglich gemacht worden ist.
In diesem Jahr Ihrer Amtszeit ist eine Entscheidung, die wir gemeinsam getroffen haben, aus meiner Sicht ein besonders schönes Zeichen für den Zusammenhalt unter den Ländern: In einer anderen Krise, der Flut, die wir erlebt haben, hat, wie auch schon vor einigen Jahren, nicht nur der Bund seine Unterstützung zugesagt, sondern haben auch die Länder untereinander Solidarität gezeigt. Mit dem 30-Milliarden-Paket für die Flutopfer haben wir, glaube ich, erreicht, dass sich der Föderalismus von seiner allerbesten Seite zeigen kann. Insofern noch mal herzlichen Dank an Reiner Haseloff für seine Bundesratspräsidentschaft.
Sehr geehrter Herr Präsident Ramelow, ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zur Amtsübernahme und wünsche auch Ihnen ein glückliches Händchen in diesem Amt. Sie haben eben gesagt, es sind bewegte Zeiten. Ja, es sind auch Zeiten des Übergangs. Wenn wir zurückschauen und nach vorne schauen, dann merkt man: Politik ist nie fertig. Auf der einen Seite haben wir viel erreicht, und auf der anderen Seite liegt noch viel vor uns. Denken wir an das Thema der Migration, das uns in den letzten vier Jahren in beiden Kammern sehr beschäftigt hat. Wir haben mit den Regeln, die wir zur Fachkräfteeinwanderung geschaffen haben, die wir zum Familiennachzug vereinbart haben, in den letzten vier Jahren eine weitgehende Befriedung bei diesem Thema in unserem Land erreicht. Gleichzeitig sehen wir in diesen Tagen, dass neue Phänomene, wie zum Beispiel die irreguläre Migration über Belarus, uns von Neuem vor Aufgaben stellen.
Herr Präsident, Sie haben das Thema des Klimawandels angesprochen. Wir haben in dieser Wahlperiode wahrlich viel auf den Weg gebracht. Die CO2-Bepreisung als neues marktwirtschaftliches Lenkungselement wurde eingeführt, und mit der Wasserstoffstrategie haben wir neben dem erneuerbaren Strom die zweite große Säule für unsere zukünftige Energiepolitik auf den Weg gebracht. Und doch sehen wir in allen Studien, in allen Verlautbarungen und auch zuletzt durch das Urteil des Verfassungsgerichts, das wir gemeinsam unmittelbar umgesetzt haben, dass die Ziele, die wir uns bis dato gesteckt hatten, nicht ausreichen. Wir müssen unsere Anstrengungen weiter intensivieren.
Ein Thema hat dabei in dieser Legislaturperiode eine besondere Rolle gespielt: der Ausstieg aus der Kohleverstromung, ein Projekt, das wir als Bundesregierung als eine Aufgabe mit sehr vielen Dimensionen verstanden haben. Es geht dabei einmal um den klimagerechten Umbau unseres Energiesystems, es geht aber auch um gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland – in Ost und West, in Kohleregionen und solchen, die keine sind. Wenn wir in Zukunft die zusätzliche Ambition, die wir brauchen, umsetzen, dann müssen wir auch an eines denken, was mir ganz persönlich sehr am Herzen liegt: dass wir mit dem Weg, den wir bis hierher gegangen sind, auch viele Versprechen eingegangen sind gegenüber denjenigen, die vom Strukturwandel besonders betroffen sind, und dass das nicht zu deren Nachteil sein soll. Wir sollten nicht wortbrüchig werden, besonders nicht da, wo die kritische Haltung gegenüber dem Staat sowieso schon sehr ausgeprägt ist. Insofern geht es auch um gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Die Digitalisierung unseres Landes ist ein weiteres großes Thema. Viele sagen dieser Tage, wir wären weit zurück. Aber wenn ich die Arbeit der letzten Jahre zwischen Bundestag und Bundesrat, Bundesregierung und Ländern sehe, dann muss ich sagen: Wir sind große Schritte gegangen, was die Grundsatzarbeit, unser Land digitaler zu machen, angeht. Ich erinnere nur an die Grundgesetzänderung, die das Onlinezugangsgesetz möglich gemacht hat. Ich erinnere mich an unsere Verhandlungen, die wir dazu geführt haben, und die Sorge vieler Länder, da der Verwaltungsvollzug nun wirklich fraglos eine Länderaufgabe ist, dass der Bund sich hier vielleicht zu sehr einmischen würde. Heute habe ich den Eindruck, dass das auf dieser Grundgesetzänderung fußende Onlinezugangsgesetz nicht nur von allen getragen, sondern auch alle sagen: Ohne dieses Gesetz wäre die große Aufgabe unserer Verwaltungsmodernisierung kaum zu schultern.
Warum ist die Digitalisierung so ein wichtiges Bund-Länder-Thema? Ich glaube, wir müssen das im Föderalismus so annehmen, wie es ist. Es gilt einfach ein Grundsatz, der in der Digitalisierung anders als in vielen Bereichen ist. Im gesellschaftlichen Leben wünschen wir uns Buntheit und Vielfalt. Bei der Digitalisierung ist Komplexität der Tod. Deshalb müssen die Länder und der Bund gemeinsam und selbstbewusst daran arbeiten, dass wir mit Standardisierung und Konsolidierung die Geschwindigkeit, die wir bei der Digitalisierung aufgenommen haben, weiter erhöhen. Wir haben in dieser Wahlperiode zum Beispiel mit der Gründung von FITKO und dem DigitalService4Germany als unserer Schmiede für innovative, agil entwickelte Softwareprodukte viel erreicht.
Aber Digitalisierung betrifft uns eben nicht nur bei der Verwaltung. Vielmehr ist es die Gesamtaufgabe der deutschen Wirtschaft, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Denn auch dort, wo Deutschland stark ist, bei den klassischen Industrieprodukten, wird die wesentliche zusätzliche Wertschöpfung der nächsten Jahre nicht mehr in Mechanik, sondern in Digitalisierung liegen, in künstlicher Intelligenz, in Sensorik und vielem anderen. Gerade in diesen Bereichen der Digitalisierung muss sich Deutschland nicht verstecken, muss aber weiter ehrgeizig bleiben.
Ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen will, ist der gesellschaftliche Zusammenhalt. Wir haben in den letzten Jahren viel getan. Wir haben Gesetze gegen Hass und Hetze im Internet verabschiedet. Wir haben Beauftragte eingerichtet, nicht nur beim Bund, sondern auch in nahezu allen Ländern, was das jüdische Leben angeht. Trotzdem haben wir furchtbare Ereignisse erleben müssen und verzeichnen eine Zunahme von Rassismus. Das Problem von Hass und Hetze im Internet ist bei Weitem noch nicht bewältigt.
Das alles sind Aufgaben, die der Bundesrat auch in Zukunft gemeinsam und selbstbewusst angehen muss. Ich stelle immer wieder fest: Das Herz der Demokratie hat einen ganz ähnlichen Aufbau wie das Herz von uns Menschen. Es hat zwei Kammern, und die Aufgabe eines Herzens ist, kraftvoll zu schlagen. Ich habe in den letzten acht Jahren in unterschiedlichen Funktionen in diesem Haus versucht, daran mitzuwirken, dass die Kammern nicht nur kraftvoll schlagen, sondern dass sie es auch in einem guten und abgestimmten Rhythmus tun, was für ein Herz außerordentlich wichtig ist. Ich wünsche dem Bundesrat, dass sein Herz im Rhythmus mit dem Bundestag auch in Zukunft kraftvoll schlägt.